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Chiemgauer Köpfe: Der Lawinenexperte Jan Mersch

Jan Mersch, Jahrgang 1971 ist eine der interessantesten Figuren der deutschen Alpinszene: Er war einer der Initiatoren des DAV-Expeditionskaderprogramms, gilt als einer der führenden deutschen Lawinenexperten und ist vereidigter Gutachter für Alpinunfälle. Der Bergführer und Diplompsychologe lebt mit seiner Familie auf der Ratzingerhöhe am Chiemsee.

Wie bist du aufgewachsen?
JAN: In Hufschlag bei Traunstein. Meine Eltern waren nicht von hier, beide Ärzte. Zuhause wurde hochdeutsch gesprochen, mein kleiner Bruder und ich waren also immer die Zugereisten.

Wie kamst du dann zum Bergsteigen?
JAN: Mit den Eltern waren wir oft wandern. Sie hatten die Idee, wenn sie uns Buben in einen Kletterkurs geben, dann kommen wir bei diesen felsigen Dreitausendern leichter auf den Gipfel. Dieser Kletterkurs hat einiges ausgelöst - der Kurs war übrigens beim Sport-Praxenthaler, den gab es damals ja auch schon. Da war ich so dreizehn oder vierzehn. Und an der Kampenwand war ich dann mal mit der Jugendgruppe von der Sektion, das fühlte sich wild und großartig an.

Mit wem bist in den frühen Jahren losgezogen, du warst du ja noch nicht alt genug, um dir die Ausflüge selbst zu organisieren?
JAN: Noch nicht, aber bald! Ich war dann in der Jungmannschaft vom Traunsteiner Alpenverein und es gab immer das Problem, an den Fels zu kommen, da wir kein Auto hatten und natürlich auch keinen Führerschein, die meisten von uns waren ja noch lange keine achtzehn. Dann hat der Fußballverein bei uns so einen Bus zu verschenken gehabt, einen alten, und wir haben einen Werbeaufkleber für den Bus organisiert, mit dem wir die Unkosten bezahlen konnten. Versicherung und KFZ-Steuer hat die Sektion übernommen, fahren musste die von uns mit Führerschein. Jetzt konnten immer alle mit, die was machen wollten, das war großartig. Da war ich so fünfzehn, sechzehn. Wir kannten natürlich auch die Huberbuam, die kletterten in Karlstein, sofern ich mich recht erinnere, noch im neunten Grad herum. Ich selbst war einerseits noch klassisch alpin geprägt, andererseits schon Generation rotpunkt, das war eine aufregende Zeit.

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Woher kam das Selbstvertrauen, in dem Alter so etwas auf die Beine zu stellen? Das muss man sich ja auch erstmal trauen.
JAN: Nicht zuletzt von zu Hause. Meine Eltern waren ja beide selbständig und haben mir auch immer den Rücken gestärkt. Zum Teil hatte ich da irgendwie immer ein enormes Selbstvertrauen, also da stand nicht immer so viel dahinter, wie ich geglaubt habe oder andere glauben gemacht habe (lacht) - aber mir ging es ja wirklich
nicht darum, mich da in Szene zu setzen, sondern ich wollte etwas in Gang bringen. Und das war ein verdammt gutes Gefühl, wenn so Zeug dann eben stattfand.

Wann kamst du auf die Idee, Bergführer zu werden?
JAN: Das stand irgendwie so im Raum. Viele Bekannte und Freunde in der Traunsteiner Kletterszene, zu denen ich aufgeschaut habe , waren einfach Bergführer und ich hab mich zur Eingangsprüfung schon angemeldet, da ging ich noch zur Schule. Den Eingangstest Ski hatte ich tatsächlich noch vor dem Abitur bestanden. Ich habe nicht groß nachgedacht, ob ich das mal wirklich beruflich machen will. Ich wollte das einfach machen und habe vor allem von der Ausbildung wahnsinnig profitiert, ich war ja im Grunde noch gar nicht so lange dabei. Und es hat sich dann tatsächlich so entwickelt, dass ich damit ganz gut nebenbei und zeitlich flexibel Geld verdienen und so auch Expeditionen machen konnte.

Du warst auch einer der Initiatoren des Expeditionskaders, das ist ja heute ein Vorzeigeprogramm, auf dass der Alpenverein sehr stolz ist. Wie kam es dazu?
JAN: Das hing ganz stark mit der großen rotpunkt- und Freikletterwelle zusammen, die ich in den achtziger Jahren praktisch als Zeitzeuge miterlebt habe. Ich war einer der letzten Jahrgänge, die noch klassisch geprägt das Klettern angefangen haben. Wo noch die alpinen, die langen Touren und das Abenteuer im Fokus standen und nicht der Schwierigkeitsgrad im Klettergarten. Und ich war dann zweimal im Winter für den DAV auf so Bergsteigertreffen in Chamonix - und die Kollegen aus Frankreich und der Slowakei haben von ihren Nachwuchsprogrammen erzählt, Förder- und Trainingsprogramme für den alpinen Nachwuchs. Bei uns gab es da nichts, null, nada. Und ich habe gemerkt, in den Jahrgängen unter mir kam fast überhaupt niemand mehr nach, der den klassischen Alpinismus im Fokus und Lust auf Nordwände hatte. Derjenige, dem das genauso auffiel wie mir, war Alexander Huber, der war ja nicht nur der große Freikletterpionier, sondern eben ursprünglich auch noch alpin geprägt über seinen Vater. Und beim DAV hatten wir in Karl Schrag, der war ja auch aus Traunstein, ein offenes Ohr. Und wir, aber auch noch ein paar andere, haben dann geschoben und gemacht und getan und irgendwann lief es dann eben.

Wie lange warst du Trainer bzw. Leiter?
JAN: Für die ersten zwei Kader war ich Trainer - ein Durchgang dauert drei Jahre, also sechs Jahre insgesamt.

Wann kam die Beschäftigung mit Lawinen dazu? Du bist bei dem Thema ja einer der führenden deutschen Experten.
JAN: Das entwickelte sich über das Psychologiestudium, da gibt es ein Feld, das nennt sich Entscheidungstheorie. Übertragen aufs Bergsteigen ergab sich unter anderem folgende Beobachtung: bei der Frage – der lebenswichtigen Frage, wohlgemerkt - , ob man wegen Lawinengefahr umkehrt oder nicht, orientiert sich der einzelne oft viel mehr an der Meinung der anderen als an den Fakten im Gelände. Dieser Aspekt hat mich einfach fasziniert. Bei dem Lawinenbuch „Die weiße Gefahr“ von Martin Engler war ich Co-Autor. Auch bei der Snow-Card war ich Co-Autor, das war ja eben ein Entscheidungstool: wenn du im Gelände stehst, checkst du verschiedene Aspekte durch, was, wie, wann, wo und kommst zu einer Entscheidung: weitergehen oder umkehren.

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Du hast jetzt mit zwei Co-Autoren ein neues Lawinenbuch geschrieben, gibt es wirklich so viel Neues in Sachen Lawinen oder habt ihr einfach den Stand der Dinge übersichtlich zusammengefasst?
JAN: Nein, es gibt überraschend viel Neues. Auch in Sachen Schneedeckenaufbau, Schneebrettauslösung etc., also unter dem rein physikalischen Aspekt: wie Lawinen entstehen und wann ein Hang, aus dem die Lawine nicht abgeht, sich soweit gesetzt hat, das irgendwann wirklich nichts mehr passieren kann. Was allerdings für die angewandte Lawinenkunde wenig Relevanz hat. Aber drum herum gibt es sehr viel Neues, das wirklich relevant ist: wie wir Menschen da vorgehen und uns verhalten, vor allem auch in der Verschüttetensuche: was tue ich, wenn einer in der Lawine drin liegt oder mehrere. Fast alle haben jetzt die neuen Suchgeräte, die bringen tatsächlich sehr viel für die Sicherheit, aber am Ende des Tages kommt die Sicherheit immer vom Anwender. Bei einer Lawinenverschüttung stehen alle extrem unter Stress, das ist nicht die Situation, um lange nachzudenken, hm, okay, was machen wir jetzt, haben alle ihre Vorschläge eingebracht und sollen wir vielleicht abstimmen? Der Mensch in der Lawine hat halt nur 15 Minuten, dann ist er erstickt. Da musst du ab dem ersten Moment antrainierte Verhaltensweisen abrufen können, damit etwas vorwärts geht. Diskutieren kann man dann hinterher.

Was wünscht du dir für die Zukunft?
JAN: Erstmal wieder einen Skitourenwinter mit mehr Schnee und mehr Bewegungsfreiheit. Und sonst einfach Gesundheit und mehr Zeit, um privat in die Berge zu gehen. Ich habe so selten einen ganzen Tag frei um privat auf Skitour oder zum Klettern zu gehen, oft sind es nur halbe oder auch nur Vierteltage. Aber die genieße ich immer intensiver. Der Leistungsgedanke - klingt jetzt banal, ist aber so - rückt immer mehr in den Hintergrund es sind einfach die Momente in denen man so ganz bei sich ist. Und bei den Freunden, mit denen man die Momente teilt.

Genießt du diese Heimatsituation hier im Chiemgau im Zusammenhang mit Corona noch mehr?
JAN: Das würdest jetzt vermutlich gerne hören (grinst), ist aber nicht so. Draußensein und bei mir selbst sein, das genieße ich woanders genauso. 

Mit dem Südtiroler Pauli Trenkwalder, ebenfalls Bergführer und Psychologe, bietet Jan Mersch psychologische Beratung und Coaching für Einzelpersonen, Führungskräfte und Gruppen an.
www.erlebnis-berg.com | www.menschundberge.com

 

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Gefahren erkennen, Risiko beurteilen, Unfälle vermeiden: Schlüsselkompetenzen und Strategien der angewandten Lawinenkunde und Lawinenrettung. Drei hochkompetente Autoren vermitteln auf verständliche Weise alle notwendigen Grundlagen nach aktuellstem Forschungsstand. Die derzeit üblichen Beurteilungsmethoden werden erklärt und in einer einfachen Entscheidungsstrategie zusammengeführt.

Jan Mersch: „Fast alle haben jetzt die neuen Suchgeräte, aber am Ende des Tages kommt die Sicherheit immer vom Anwender.“

 

Helmut Mittermayr, Jahrgang 1968, ist staatlich geprüfter Berg- und Skiführer, Notfallsanitäter und Flugretter. Als langjähriger Kursleiter in der Bergführer- und Bergrettungs- ausbildung ist er mitwirkende Instanz für die standardisierte Lehrmeinung.

Jan Mersch, geboren 1971, ist Psychologe und Bergführer. Seine Erfahrung als Psychologe nimmt maßgeblich Einfluss auf seine Beschäftigung mit der angewandten Lawinenkunde

Markus Fleischmann, Jahrgang 1978, ist staatlich geprüfter Berg- und Skiführer. Als diplomierter Geograf ist er Spezialist für Lawinenprognostik. Im Deutschen Alpenverein (DAV) ist er als Bildungsreferent für die Ausbildung angehender Alpintrainer verantwortlich.

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